Robbie forever - and ever?
Wie prägend ist jahrzehntelanges Fantum?
Hinweis: Dieser Artikel thematisiert Suizidgedanken und Medikamentenmissbrauch.
Boyband-Aussteiger, Entertainer, Alien-Fan: Robbie Williams ist vieles – und für manche noch viel mehr. Was treibt Menschen an, ihm seit mehr als drei Jahrzehnten durch Höhen und Krisen zu folgen?
Vor genau 30 Jahren brach ein junger Brite tausenden deutschen Teenagern das Fanherz. Robert Peter Williams war das jüngste Mitglied der fünfköpfigen britischen Boyband Take That. Mit gerade einmal 16 Jahren hatte er seine Karriere als Popstar gestartet. Mit Gary, Howard, Jason und Mark waren sie die Lieblinge der Teenie-Zeitschriften und gemeinsam lieferten sie Anfang der 1990er-Jahre einen Charthit nach dem anderen. Doch am 17. Juli 1995 dann das vorläufige Ende der Erfolgsgeschichte – Williams kehrte der Band den Rücken. Schon Monate zuvor hatte er sich den strengen Regeln des Bandmanagers widersetzt, der ein sauberes Image von den Jungs nach außen verlangte. Sein spontaner Besuch auf dem Glastonbury-Festival, bei dem er angetrunken mit der Bierflasche in der Hand auf der Bühne mit Oasis tanzte, führte schließlich dazu, dass ihm zum Ausstieg geraten wurde.
Kaum machte die Nachricht die Runde, bemühte sich der Musiksender Viva mit Sondersendungen um das Thema. Doch die Sendungen offenbarten ein Generationenmissverständnis. Es ging doch nur um den Sänger einer Boyband, der nicht mehr weitertanzen wollte? Doch für viele Fans, waren die fünf Jungs Dreh- und Angelpunkt ihrer Gedanken. „Ich hatte zehn ganze Ordner voll mit ausgeschnittenen Interview-Schnipseln und Postern“, erzählt Sonja (45).
Moderator Mola Adebisi schien in der nachmittäglichen Sendung „Interaktiv“ selbst irritiert über die Ernsthaftigkeit, Wut und Trauer der Fans. Aufgelöste, weinende Mädchen wussten nicht mehr weiter – bis hin zu dem Punkt, dass einige von ihnen vor Verzweiflung ihr Leben beenden wollten. Die drastische Lage führte dazu, dass der Berliner Senat kurzerhand eine eigene Hotline schaltete, um den trauernden Fans zu helfen.
Fangemeinschaft als Halt
„Es war der Weltuntergang für mich“, berichtet Jessica (41). „Es folgte ein richtiger Trauerprozess.“ Zunächst sei sie vor allem wütend gewesen. Eine emotionale Achterbahn für Jessica, die damals erst 11 Jahre alt war. „In dem Alter ist man selbst eigentlich noch dabei, die eigene Persönlichkeit zu entwickeln. Ich wusste gar nicht, wie ich mit diesen Gefühlen umgehen sollte.“ In ihrem Umfeld war damals niemand, der ihr Fantum verstehen konnte, sie sei für ihr Alter schon sehr reif gewesen.
Kurz darauf nutzte Jessica die Gelegenheit beim Familienurlaub in Berlin und bat ihre Mutter, zum Hotel Hilton zu fahren. Hier stiegen ihre Stars während der Touren oft ab. Nach dem Ausstieg von Williams, wurde der Ort zu einer Art Treffpunkt für Take-That-Fans. „Dann konnte man sich austauschen. Darüber reden, wie es einem geht. Es war wie eine Selbsthilfegruppe. Wir waren in einer ganz eigenen Welt.“ Ihre Eltern konnten das nur schwer nachvollziehen. Doch Robbie Williams blieb Teil ihres Lebens. – Bis heute.
Seine Solokarriere startete Williams kurz nach der (vorläufigen) endgültigen Trennung der Boyband 1996. 2006 folgte die Reunion – 2010 kehrte auch Williams für ein gemeinsames Album und eine Tour zu seinen Bandkollegen zurück. Nur wenige Jahre brauchte Robbie Williams, bis er raketenartig den einstigen Erfolg mit Take That eindrucksvoll überboten hatte. Er ist bis heute einer der weltweit erfolgreichsten Popstars.
Konzerte als Koordinaten eines Lebens
Von Anfang an geht Jessica regelmäßig auf seine Konzerte. Diesen Sommer wird es laut eigener Zählung Nummer 40. Die aktuelle Tour hat sie schon in Hannover und Leipzig gesehen – es sollen aber noch mehr Termine folgen. Die Konzerte verbindet sie auch oft mit Städtetrips, etwa nach Barcelona. Sie hat Williams aber auch schon mal am anderen Ende der Welt gesehen, als sie nach Neuseeland reiste. Da war der Fanandrang allerdings erstaunlich geringer, weshalb sie trotz Sightseeing am Abend einen Platz in der zweiten Reihe ergattern konnte.
„Das Ziel ist natürlich immer möglichst in der ersten Reihe zu stehen.“ Das bedeutet für sie, ab 7 Uhr morgens vor der Konzertlocation anzustehen. Doch nicht nur sie ärgert sich über die immer teurer werdenden Tickets, sondern auch über die neue Zusatzoption des „Early Entry“-Tickets, welches bis zu 200 Euro mehr von den Fans verlangt. „So verrückt, bin ich dann doch nicht“, ergänzt Jessica. In der Regel wartet sie auch nicht allein, sondern mit Freundinnen. Die meisten von ihnen hat sie über die Jahre bei Konzerten oder in Fanforen kennengelernt.
Auch Tamara (51) gefällt der Austausch mit den anderen Fans. Erst vergangenes Jahr hat sie allerding auch Robbie Williams selbst zumindest ein bisschen näher kennengelernt, als sie die „She’s the One“ in Berlin wurde. Williams wählt bei seinen Konzerten mittlerweile regelmäßig Frauen aus dem Publikum aus, denen er das Lied widmet. Meist mit einem kurzen Plausch vorweg. Vergangenes Jahr kam er beim Konzert in Berlin auf Tamara zu. „Ich war so aufgeregt“, erzählt Tamara. Weil er ihren Namen nicht ganz verstand, widmete er das Lied anschließend: „Tomorrow, Tamara and yesterday.“ Dass er auf sie zukam, war für sie eine echte Überraschung. Denn ihr ist aufgefallen, dass Robbie Williams oft nach bekannten Gesichtern Ausschau zu halten scheint.
Tatsächlich berichten Fans etwa im britischen Fan-Podcast „Robbie Williams Rewind“, dass er jahrelang über ein Fanforum auf seiner Internetseite und später über eine eigene App mit Fans im regelmäßigen Austausch stand und diese bis heute bei Konzerten wiedererkennt.
Einmal erste Reihe, immer erste Reihe
Tamaras Mann kommt nicht mit zu den Konzerten. Er möge Robbie Williams nicht und ihre Fanliebe kann er nicht verstehen. Doch Tamara fühlt sich auch durch ihre Familiengeschichte mit Robbie Williams verbunden. „Bei Robbie hat der Vater die Familie verlassen. Meiner ist gestorben, als ich 14 war.“ Ihr Vater habe ihr die Swing-Klassiker beigebracht – eine Musikära, die auch Williams mit seinem Vater verbindet.
Für die aktuellen Charts hätte sie sich als Kind eher weniger interessiert. Doch als sie eines Tages zufällig Robbie Williams mit Take That im Fernsehen sah, war sie sofort fasziniert von ihm. „Er war auch damals schon der Clown und einfach anders als die anderen.“ Die Trennung von Take That war für sie zwar traurig, aber auch keine große Sache. Ich habe irgendwie gewusst, dass das etwas Großes wird mit Robbie.“ Sie will ihr Fandasein aber nicht als Schwärmerei missverstanden wissen. Er sähe zwar auch sehr gut aus, aber sie würde sich vor allem gerne mal länger mit ihm unterhalten. Sie sieht gleichzeitig auch ein Suchtpotential. „Wenn du einmal in Reihe 1 warst, willst du nicht mehr zurück in Reihe 20.“ Das wird auch für das Konzert Ende Juli in München wieder Tamaras Ziel sein.
Auch Sonja (45) fiebert dem Konzert in München entgegen, das sie mit Freundin Daniela besuchen wird. Schon vor fast 30 Jahren erlebten sie Williams das erste Mal zusammen live in München – damals noch mit Take That, wenige Monate bevor er die Band verließ. Selbst war sie eigentlich eher ein Fan von Bandmitglied Mark Owen. „Ich habe mich da einfach der Masse angeschlossen damals“, erzählt Sonja. Owen erhielt von den fünf Jungs die meiste Fanpost. Doch ihre Freundin Daniela bevorzugte Robbie Williams. Sein Ausstieg bei Take That hat die beiden Freundinnen noch mehr zusammengeschweißt. Es ist für sie ein Ritual geworden, gemeinsam zu seinen Konzerten zu gehen.

Durch die sozialen Medien ist Sonja schon vor ihrem Konzertbesuch in München auf dem neuesten Stand über die Tour. „Ich folge seiner Frau auf Instagram“, erzählt sie. Ayda Williams teilt dort regelmäßig Einblicke in den Familienalltag des Popstars. „Da kann man mittlerweile so viel mitterleben, das ist total interessant“, findet Sonja.
Auch ihr größter Wunschtraum als Fan ist es, sich „eine halbe Stunde mit Robbie bei einem Kaffee zu unterhalten.“ Nach all den Jahren sei er ein fester Bestandteil ihres Lebens und „wie eine Art Kumpel, den man glaubt zu kennen.“
„Eternity“ bis unter die Haut
Gespannt ist Sonja diesmal vor allem auf das Intro der Show: Den neuen Song „Rocket“ kombiniert der Sänger mit einem Stunt: Auch mit 51 Jahren scheint es ihm nicht an Energie und dem Willen zu mangeln, seinen Fans abseits der erwarteten Hits wie „Angels“ oder „Rock DJ“ etwas Neues bieten zu wollen.
Vielen Fans sind vor allem seine ersten Alben bis heute die wichtigsten. „Seine Songs haben wichtige Ereignisse in meinem Leben geprägt“, sagt Jessica. Sie halfen ihr auch durch den ersten Liebeskummer. Die Ballade „Eternity“ ist ihr Lieblingslied – sie hat den Titel mit einem Tattoo auf ihrem Handgelenk verewigt.
Sowohl Sonja, als auch Jessica und Tamara sind zudem vor allem froh, dass Robbie Williams nach seinen Abstürzen in die Drogensucht und längeren Pausen wieder auf die Bühne zurückgekehrt ist. Trotz der langen Zeit hätte ihre Begeisterung nie nachgelassen, sagt Tamara. Auch seine anderen musikalischen Ausflüge, etwa sein Album Rudebox, gefallen ihr.
Das Rap-lastige Album kam 2006 nicht bei allen Fans gut an. Insbesondere der gleichnamige Titelsong „Rudebox“ stieß auf Unverständnis. Parallel überwältig von den immer größer werdenden Touren, abhängig von Medikamenten, stürzte Williams in eine Krise. Nach einer Panikattacke während eines Konzerts, war er vorläufig am Ende seiner Kräfte angekommen, zog sich bis 2009 komplett aus dem Musikgeschäft zurück und widmete sich seiner Leidenschaft für Ufos, Aliens und Verschwörungstheorien.
Dass er derzeit wieder sehr präsent ist und ein Projekt nach dem anderen startet, freut seine Fans. Auf eine Netflix-Doku folgte ein Biopic, eine Kunstausstellung und derzeit läuft die Tour von Edinburgh bis Istanbul. Doch dem ein oder anderen Fan bereitet das auch Sorgen „Das ist echt viel“, findet Tamara. Sie wünscht sich, dass er zugunsten seiner Gesundheit notfalls lieber kürzertritt.
Bislang steht das allerdings nicht in Aussicht. Und so hat Sonja mit Freundin Daniela für ihren Konzertbesuch diesmal Klappstühle organisiert für die Wartezeit vor dem Einlass. „Wir werden ja auch älter“, scherzt sie. Aber die Stunden vor dem Konzertbeginn vergingen doch meist wie im Fluge: „Man unterhält sich, hört die Musik. Es ist meistens ein sehr schöner Austausch.“
Vom Roadie zum Robbie-Fan – „Irgendwann gehört man dazu“
Den Stress möchte sich Achim (61) nicht mehr antun. Er muss nicht mehr ganz vorne stehen. Dennoch ist er schon seit 1996 passionierter Robbie Williams-Fan. Take That hat ihn als Mitte 20-Jährigen eher weniger angesprochen, aber seine damalige Freundin fand die Boyband gut. Als er jedoch die erste Singleauskopplung mit dem leicht makaberen Titel „Old Before I Die“ von Williams‘ Debütalbum „Life Thru a Lens“ hörte, war er sofort begeistert. Es folgten zahlreiche Konzertbesuche. Highlight: Das Knebworth-Konzert 2003 in Großbritannien. Drei Tage hintereinander spielte Williams dort vor 125.000 Menschen.
Achims Lieblingssongs stammen ebenfalls vom Debütalbum von 1997: „Lieblingslied ist für mich ‚Angels‘, vor allem im Livekontext. Und ‚Let me entertain you‘ in jeder Art und Form.“ Er ist auch schon sehr gespannt auf das neu angekündigte Album, dass wie die derzeitige Tour den Titel „Britpop“ tragen soll und auch musikalisch wieder eine Reise zurück zu den gitarrenlastigeren Anfängen sein soll.
Als männlicher Fan fiel er insbesondere am Anfang bei den ersten Konzerten der Solokarriere von Robbie Williams schon auf. „Da waren doch vor allem junge, kreischende Mädels.“ Aber davon ließ er sich nicht abbringen. Mittlerweile sei das Publikum auch deutlich gemischter.
Bei seinem jüngsten Konzertbesuch in Hannover Ende Juni drehte er die Geschichte sogar um. Lernte er Robbie Williams einst durch seine Freundin kennen, die Take-That-Fan war, begleitete ihn dieses Jahr seine heutige Lebensgefährtin. Für sie war es ihr erstes Robbie-Williams-Konzert.
Auch wenn er es selbst entspannter angeht und nicht stundenlang für den besten Platz ansteht: Achim kann die Fans verstehen, die das machen. Denn vor Robbie Williams hatte die Band Status Quo sein Fanherz erobert. „Ich war 35 Jahre lang mit der Band als Roadie auf Tour“, erzählt er. „Irgendwann ist das dann wie Familie, irgendwann gehört man dazu.“
Es scheint also oft mehr als die Musik oder eine Schwärmerei. Passionierte Robbie-Williams-Fans singen nicht ausschließlich „Angels“ – aber auch. Viele stehen sich auch Jahrzehnte nach ihrem allerersten Konzert stundenlang die Beine in den Bauch, um ihrem Star so nah wie möglich zu kommen. Ob ihr Umfeld das kritisch beäugt, ist ihnen egal. „Es ist halt mein Hobby. Andere kaufen sich teure Autos, ich gehe auf Konzerte. Was soll daran falsch sein?“, resümiert Jessica.
Drei Jahrzehnte nachdem Jessica zum ersten Mal Fan von Take That wurde, ist Robbie Williams nicht nur weiter auf den Bühnen präsent, sondern Teil ihres Alltags – und dem vieler anderer Fans. Für sie ist das Fansein mehr als bloße Nostalgie: Es ist Teil ihrer Biografie.



